Artensterben und Zerstörung regionaler Ökosysteme
Kapitel B.6. Seite 142 ff:
Die Zerstörung regionaler Ökosysteme und das Artensterben
Die Entwicklung der Umweltkrise hin zur globalen Umwelt-
katastrophe findet ihren sichtbarsten Ausdruck in einer
beschleunigten Gefährdung und auch Vernichtung
natürlicher Lebensräume und ihrer Lebensformen.
Diese Entwicklung kann ihrem Wesen nach als dramatischer
Verlust an biologischer Vielfalt (Biodiversität) gekenn-
zeichnet werden, sie hat weitreichende Auswirkungen auf die
menschlichen Lebensbedingungen.
Die Bedeutung der Biodiversität
Die Biodiversität umfasst die Summe der verschiedenen
Tier und Pflanzenarten auf der Erde und darüber hinaus
auch die Vielfalt der Ökosysteme und der Varietäten (Kultur-
sorten, geografische Rassen) aller einzelnen Spezies. In ihrer
Gesamtheit bilden sie die biologische Lebensgrundlage
der Menschheit. Das ist vor allem auf zwei Gründe zurück-
zuführen:
1. Die Verwertung von Tieren und Pflanzen und die Nutzung
ihrer Leistungen ist eine Grundbedingung der Produk-
tion und Reproduktion des menschlichen Lebens.
2. Die relative Stabilität und Plastizität der Ökosysteme,
von deren Funktionsfähigkeit letztlich auch die Lebensbe-
dingungen der Menschen abhängen, ist vielfach auf die
große Mannigfaltigkeit der Pflanzen- und Tierwelt
zurückzuführen.
Besonders empfindlich auf äußere Stressfaktoren reagieren
Ökosysteme, die auf extreme Umweltbedingungen spe zia-
lisiert sind. Sie sind an Sonderbedingungen angepasst und
wenig tolerant gegenüber äußeren Veränderungen. Zu diesen
Ökosystemen gehören die Eismeere, Süßwasserlebensräume
wie Flussmündungen und -deltas, Salzwiesen, Muschelbänke
oder arktisch-alpine Zwergstrauchheiden.
(…........)
Immer wieder taucht die Frage auf: Ist der Erhalt jeder Art
überhaupt wichtig? Brauchen wir wirklich die australischen
Gebirgsökosysteme? Könnten wir nicht notfalls auch ohne Eis-
bären leben?
Die einzelnen Arten haben wichtige und zuweilen unabding-
bare Funktionen im großen Ganzen. Das zeigt sich an den
besonders gefährdeten hochspezifischen Ökosystemen der
Korallenriffe, der Mangrovenwälder oder des Baikalsees in
Sibirien.
Das beschleunigt fortschreitende globale Artensterben
Während vor einigen Jahren noch davon ausgegangen
wurde, dass es insgesamt etwa eine Million Arten gibt, wurden
bis 2010 schon 1,75 Millionen Arten wissenschaftlich beschrie-
ben. Aktuelle wissenschaftliche Schätzungen der Gesamtzahl
der Arten von Lebewesen auf der Erde liegen mittlerweile
zwischen zehn und 100 Millionen.
(…)
Der Verlust an Arten und Strukturen beschleunigt sich
in geradezu dramatischer Weise. Nach wissenschaftlichen
Schätzungen verschwinden jährlich bis zu 35 000 Arten für
immer. Damit ist das Tempo des globalen Artenverlusts 1 000
bis 10 000 Mal höher als die natürliche Aussterberate, die bei
circa zehn Arten pro Jahr liegt. Nach Angaben von Greenpeace
sind heute achtmal so viele Arten vom Aussterben bedroht,
wie in den letzten 500 Jahren insgesamt ausgestorben sind.
(...)
Die in der Pflanzenproduktion nahezu hundertprozentig ver -
wendeten Hochertragssorten umfassen nur ein Tausendstel
der insgesamt 30 000 nutzbaren Arten.
Das Risiko dieser einseitigen Fixierung auf wenige Typen
rührt vor allem von ihrer oft wesentlich geringeren Anpas-
sungsfähigkeit an sich ändernde Umweltbedingungen her und
auch von ihrer geringeren Widerstandsfähigkeit gegenüber
schädlichen äußeren Einwirkungen wie Trockenheit, Hagel,
Platzregen, Befall mit Krankheitserregern oder Schädlingen.
Internationale Agrar- und Chemiemonopole wie Monsanto,
Bayer, BASF, DuPont oder Syngenta treiben diese Entwick-
lung skrupellos auf die Spitze, indem sie sich bestimmte
gezüchtete Lebensformen und Kultursorten patentieren las-
sen, um damit Maximalprofite zu erzielen.
(...)
Die quantitative Dimension des Artensterbens ist nur ein
Aspekt des Problems. Die qualitative Dimension – was verlo-
ren geht, wenn Arten verschwinden – ist oft viel schwieriger zu
erfassen, denn manche Arten haben entscheidende Bedeutung
für ein ganzes komplexes System.