Entgeltrahmenabkommen (ERA)

5 Gründe gegen ERA und  für die Beantwortung der Lohnfrage im Arbeiterinteresse!


In verschiedenen Kämpfen der letzten Monate machte der Tarifvertrag mit den drei Buchstaben negativ Furore. Aus der Auswertung der bisher gemachten Kampferfahrungen und Diskussionen in Betrieb und Gewerkschaft entstand die nachfolgende zusammenfassende Stellungnahme der LAG (Landesaufbaugruppe) Baden-Württemberg der MLPD.

1. Falsche politische Weichenstellung auf dem Rücken und hinter dem Rücken der Gewerkschaftsmitglieder!

Der ERA-Tarifvertrag beinhaltet grundsätzliche Änderungen des bisherigen Entlohnungssystems mit dem Kern seiner Verschlechterung für die Arbeiter und Angestellten. Durch das Tarifvertragsgesetz (TVG) enthält ERA Gesetzeskraft. Dort heißt es in §3: "Tarifgebunden sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrags ist. (...) Die Tarifgebundenheit bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet."
Die sich in der Arbeiterbewegung mehr und mehr verbreitende Forderung "Weg mit dem ERA-Tarifvertrag!" hat darum neben ihren ökonomischen Aspekten von vornherein auch politischen Charakter. Sie richtet sich gegen die rechtswirksame Gültigkeit eines Tarifvertrags, der auf dem Rücken und hinter dem Rücken der Masse der Gewerkschaftsmitglieder ausgehandelt wurde.

Über die Tragweite dieses Tarifvertrags äußern sich sowohl IG- Metall-Führung als auch die Unternehmerverbände eindeutig dahingehend, dass hier eine grundsätzliche Richtungsänderung vorgenommen wurde: "Die ERA-Einführung ist keine Korrektur der alten betrieblichen Entgeltsysteme, sondern ein durch die Tarifvertragsparteien beschlossener Neuanfang." (Homepage Südwestmetall)
In einer Broschüre der IG Metall Baden-Württemberg schreibt ihr Bezirksleiter Jörg Hofmann, ERA sei "historisch", da es eine "vollständig neue Ordnung der Entgeltstrukturen" (Homepage IGM) beinhalte.

Was macht den "historischen Neuanfang" eigentlich aus, der hier im Sinne der Klassenzusammenarbeitspolitik über den grünen Klee gelobt wird? Lässt man einmal alle Etiketten weg, die sich die Verhandlungsführer selbst anheften, wird der Kern schnell deutlich. Die in Stuttgart ansässige Unternehmensberatungsfirma COPREX, die allen Firmen ihre Dienste bei der Umstellung auf ERA anbietet, qualifiziert die Leitlinie von ERA folgendermaßen: "ERA führt ein Prinzip ein, nach dem das zukünftige Ent-
gelt vom Wert der ausgefüllten Arbeitsstelle und der verrichteten Arbeit abhängt, statt von der Qualifikation und Ausbildung des Arbeitnehmers."
(Homepage)

Die Kosten für Berufsausbildung bzw. Berufserfahrung, die
bisher unabdingbar in die Entlohnung der Arbeitskraft eingegangen sind, werden auf breiter Front abgebaut. Diese Weichenstellung zur generellen Abwertung der Arbeitskraft ist in Verbindung mit weiteren Verschlechterungen Grundelement des ERA-Tarifvertrags. Kaum einem Gewerkschaftsmitglied ist diese Dimension bewusst. Kein Gewerkschaftsführer hatte das demokratische Mandat, solchen Grundsatzvereinbarungen zuzustimmen. Sie stehen in krassem Widerspruch zu den Grundlinien gewerkschaftlicher Tarifpolitik, nach denen Tarifverträge dazu abgeschlossen werden, um die Lohn- und Arbeitsbedingungen zu verbessern! 

2. Die Tarifpolitik wird in die Betriebe verlagert und der Flächentarifvertrag untergraben!

Der ERA-Tarifvertrag gilt zwar allgemein, aber das bedeutet keineswegs, dass es nun in allen Betrieben ein angeglichenes Lohnniveau gäbe. In jedem Betrieb wird gesondert verhandelt. Statt bei der Gewerkschaft und der von ihr repräsentierten Gesamtmitgliederstärke und Kampfkraft eines Bezirks oder Landes liegt die Verhandlungsführung bei den einzelnen Betriebsräten. Die IG-Metall-Führung gibt das auch unumwunden zu, wenn es in oben erwähnter Broschüre zu ERA heißt, der Tarifvertrag sei "letztlich nur so gut, wie seine Umsetzung im einzelnen Betrieb." Auch das steht in diametralem Gegensatz zur gewerkschaftlichen Lohnpolitik, die mit dem Flächentarifvertrag gerade verhindern will, dass die Lohngestaltung von den Bedingungen bzw. der Willkür in den einzelnen Betrieben diktiert wird.

3. Statt Aufhebung der Spaltung in Arbeiter und Angestellte wird die Spaltung verschärft!

Die formalen Bezeichnungen "Arbeiter" und "Angestellte" werden offiziell zwar nicht mehr verwendet, die unterschiedliche Bezahlung dage-
gen wird extrem ausgeweitet. So gibt es neuerdings allein 17 Entgeltgruppen und weitere 22 Zusatzstufen innerhalb der Entgeltgruppen. Zu diesen 39 unterschiedlichen Entlohnungsalternativen kommen noch mehrere verschiedene Belastungsstufen sowie Ausgleichszahlungen hinzu, sodass man im Endeffekt von zirka 60 differierenden Eingruppierungen sprechen kann.

4. Statt einheitlicher tariflicher Lohnerhöhungen erhält fast jeder Beschäftigte etwas anderes!

Während die IG-Metall-Führung verspricht, dass niemand durch ERA Lohnverluste hätte, wird dies im ERA-Tarifvertrag ausdrücklich festgeschrieben, indem für bestimmte Gruppen künftige Tariferhöhungen nicht oder nur in geringem Maße ausbezahlt werden müssen. Das gilt für so genannte "Überschreiter" (Begriff für solche Kollegen, die in einer höheren Entgeltgruppe sind, die ihnen aber angeblich nicht zusteht),  für Neueingestellte und Auslerner in der Produktion mit bis zu 20 Prozent weniger. Werden z. B. durch einen Streik 6 Prozent mehr Lohn durchgesetzt, braucht ab sofort jeder seinen eigenen Taschenrechner, um auszurechnen, wie viel er davon zu sehen bekommt, wenn er überhaupt was kriegt. Das untergräbt in unerträglicher Weise die gewerkschaftliche Solidarität und verletzt das Prinzip der Gleichbehandlung.

5. Der Betrug von "fairer" Bezahlung verschleiert die kapitalistische Ausbeutung!

Der durch ERA betriebenen Abwertung der Arbeitskraft und massiven Spaltung wird durch Monopole und reformistische Gewerkschaftsführung die Krone aufgesetzt, wenn sie den neuen Tarifvertrag unisono auch noch als "faire" und "gerechte" Bezahlung (ebenda) preisen. Es gibt aber keine gerecht bezahlte Lohnarbeit! Jeder im Kapitalismus ausbezahlte Lohn ist nur der Anteil, den der Arbeiter erhält, um die Kosten für seine Ware Arbeitskraft aufzubringen. Den anderen, weit größeren Teil eignet sich der Kapitalist privat als Mehrwert an, den er in der Folge durch den Verkauf der vom Arbeiter geschaffenen Waren als Profit realisiert. Die Löhne bzw. Gehälter können im Kapitalismus zwar höher oder niedriger sein, worum die Arbeiter und Angestellten zu Recht einen tagtäglichen Kampf führen, niemals aber gerecht, denn eine gerechte Ausbeutung gibt es nicht!



Was tun gegen den ERA-Tarifvertrag?


In den Betrieben und Gewerkschaften ist der Kampf um ERA entbrannt, verbunden mit zehntausenden Reklamierungen der persönlichen Einstufungen, einer wachsenden Zahl selbständiger Streiks und heftiger Kritik, dass der ERA-Tarifvertrag überhaupt abgeschlossen wurde. Zugleich gibt es auch die Auseinandersetzung darüber, ob ERA ganz weg muss oder nur einzelne "Auswüchse" oder "Missbräuche" des Tarifvertrags durch die Unternehmen beseitigt werden müssten. Folgende Schritte sind geeignet, den Kampf um die Denkweise zu führen, um von der Einheit in einzelnen zur Einheit in wesentlichen Fragen zu gelangen:

1. Keine Abgruppierungen!

Auf der Grundlage des Kampfes für diese Forderung kann die breiteste Einheit geschmiedet werden. Sie richtet sich gegen den Lohnabbau durch ERA, der gegenwärtig insbesondere durch Abgruppierungen erfolgt; und sie bezieht zugleich auch solche Kollegen in den Kampf mit ein, die noch nicht generell gegen ERA als gesamter Tarifvertrag  sind.

2. Weg mit dem ERA-Tarifvertrag!

Diese Forderung lehnt das mit ERA verbundene Programm der Lohnsenkung, der Spaltung und der ideologischen Täuschung der Beschäftigten von wegen "fairer Löhne" grundsätzlich ab. Da sie gegen einen gültigen Tarifvertrag gerichtet ist, der tarifgesetzlich wirksam ist, hat diese Forderung ökonomischen und politischen Charakter und verbindet den wirtschaftlichen mit dem politischen Kampf. Sie muss in hauptsächlich selbständigen Kämpfen durchgesetzt und mit dem Hauptstoß gegen die Monopole gerichtet werden, die auf der Einführung von ERA bestehen und die IG Metall zur Einhaltung des Tarifvertrags verpflichten wollen. Sie muss aber auch an die IG Metall-Führung adressiert werden und besonders auf dem Gewerkschaftstag im Herbst zur Diskussion und Abstimmung gestellt werden.

3. Selbständige und gewerkschaftliche Kämpfe um höhere Löhne und Gehälter!

Die Ablehnung von ERA bedeutet keineswegs, die heutigen Löhne, Gehälter, Eingruppierungen usw. zu akzeptieren. Gegen den voranschreitenden Lohnraub von Monopolen und Staat gilt es offensive Lohnkämpfe zu führen, sowohl innerhalb von gewerkschaftlichen Tarifrunden als auch gegebenenfalls selbständig z. B. für die Forderung nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Sie vereint den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit mit den berechtigten Lohninteressen auf Kosten der Profite!

4. Hände weg von ERA-Kritikern! Freie gewerkschaftliche und politische Betätigung im Betrieb!

In Verbindung mit ihrem Auftreten gegen ERA wurden kämpferische Kollegen von Geschäftsleitungen angegriffen und zum Teil mit Abmahnungen bedroht. Gleichzeitig gibt es das Bestreben, Kritiker des ERA-Tarifvertrags auch innergewerkschaftlich zu behindern, zu bevormunden und sogar mit Funktionsentzug zu belegen. Das ist eine unannehmbare Einschränkung demokratischer Rechte und Freiheiten! Der Kampf gegen ERA steht damit auch in untrennbarer Verbindung mit dem Eintreten für ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht, das sich nicht auf Tariffragen beschränken oder an Tarifverträge binden lässt. 

5. Beseitigung des kapitalistischen Lohnsystems und Kampf für den echten Sozialismus!

ERA wirft weitgehende Fragen auf, weil sich viele Kollegen durch die Abgruppierungen in Würde und Arbeitsstolz verletzt sehen: Wofür werden wir überhaupt bezahlt? Wieso ist die Arbeitskraft im Kapitalismus eine Ware? Was ist eine angemessene Lohnhöhe entsprechend der Leistung? Welche gesellschaftlichen Veränderungen sind dazu notwendig? Nutzen wir diese Auseinandersetzung, um die Lohnfrage grundsätzlich aufzuwerfen und zu beantworten! Durch die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen werden im Sozialismus erstmals Löhne bezahlt nach dem Prinzip: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung. Auf der nächst höheren Stufe - der  klassenlosen kommunistischen Gesellschaft - wird auf der Basis der voll entfalteten materiellen und kulturellen Produktion das noch weitergehende Prinzip gelten: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!


(Diese Stellungnahme der Landesaufbaugruppe Baden-Württemberg der MLPD wurde von Peter Borgwardt verfasst und erschien in der Roten Fahne 28 und 29 2007)


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Literaturtipp Der Autor Stefan Engel verwendet für den Titel seines Buches ein Gleichnis aus der germanischen Mythologie: In der Götterdämmerung verschlingt das Weltenende die abgelebten Gottheiten einer überholten Zeit und aus dem Weltenbrande erwächst eine schöne neue Erde des Friedens und der üppigen Lebensfreude. Der Vergleich zum Niedergang der heute herrschenden Schicht der Weltgesellschaft und zur Vorbereitung einer neuen, lebenswerten Zukunft ist beabsichtigt! Das Buch entreißt diese Vision der Mythologie, stellt sie auf ein gesichertes wissenschaftliches Fundament. weiter lesen