Vorwort der Moorsoldaten von Willi Dickhut zur Neuherausgabe

 

Wolfgang Langhoff, der Verfasser des vorliegenden KZ- Berichts, starb, nach langer schwerer Krankheit, 1966 im Alter von 65 Jahren. Auf eigenen Wunsch hin wurde er in Stille beerdigt. Alle Genossen, die ihn kannten, trauerten um ihn. Nach dem II.Weltkrieg kam Wolfgang Langhoff aus der Emigration zurück, wurde 1946 Intendant des Deutschen Theaters in Ostberlin und Mitglied der SED. In letzten Lebensjahren hatte er heftige Auseinandersetzungen mit der DDR-Kulturkommission.

 

Ich kannte Wolfgang Langhoff seit 1928, zu dieser Zeit er als Schauspieler und Regisseur nach Düsseldorf. Wenn auf größeren Veranstaltungen der KPD revolutionäre Gedichte vortrug, war alles begeistert. Er hatte eine mitreißende zu rezitieren, die vor allem uns damals junge Arbeiter tief beeindruckte.

 

1933 sah ich dann Wolfgang Langhoff wieder - im Konzentrationslager Börgermoor. Er kam aus der Düsseldorfer ich aus der Anrather Strafanstalt, wo wir Schutzhäftlinge zunächst untergebracht waren. Wir erlebten beide den gleichen Transport ins Moor, den er so anschaulich schildert.

Bevor ich dieses Vorwort schrieb, habe ich noch einmal „Die Moorsoldaten“ gelesen. Wenn ich an den Marsch Dörpen nach Börgermoor, an die Brutalität der SS-Wachmannschaft, die täglichen Schikanen, die „Nacht der langen Latten“, die Sklavenarbeit im Moor, die Arrestbaracke, den Mord an Wehrlosen zurückdenke, dann steigt in die kalte Wut hoch. Keiner dieser verfluchten Menschenschinder wurde später zur Verantwortung gezogen.

 

Aber ich denke auch zurück an die Kameradschaft, die proletarische Disziplin, die Prinzipienfestigkeit und Kampfentschlossenheit des größten Teils der Häftlinge, die zu 95 Prozent Arbeiter und aktive Kommunisten waren. Da sie fast alle aus den Bezirken Köln, Niederrhein und Ruhrgebiet kamen, kannten sich viele Funktionäre durch ihre frühere Parteiarbeit. Dies ist für das Verständnis des Buches von großer Wichtigkeit.

 

Das, was Wolfgang Langhoff über die illegale Lagerleitung - wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen (denn das Buch wurde bereits 1935 geschrieben) - nur andeutete, war in Wirklichkeit viel weitgehender. Es war ein im ganzen Lager verzweigter Apparat, der nach allen Regeln der Konspiration arbeitete und nur die Zuverlässigsten einbezog. Die Genossen, die gemeinsam eine Aufgabe durchführten, waren lediglich über den sie betreffenden Bereich unterrichtet.

 

Wenn z. B. in der Heimat Flugblätter erschienen mit ganz genauen Angaben über das Lagerleben, über Mißhandlungen durch namentlich genannte SS-Banditen, geriet die Wachmannschaft außer sich vor Wut, die sie durch verstärkte Schikanen an uns Häftlingen ausließ. Auch wenn umgekehrt über die Lage draußen konkrete Dinge im Lager verbreitet wurden, waren viele erstaunt. Niemand ahnte, wer die Nachrichten hinaus- und hereingeschmuggelt hatte und wie das geschah. Die Entdeckung der Nachrichtenübermittler bedeutete sicheren Tod durch Erschießung.

 

Es wurde trotz schwerster Bedingungen eine politische Zersetzungsarbeit unter der SS-Wachmannschaft betrieben. Dazu war die planmäßige Besetzung bestimmter Posten in Bereichen wie Häftlings- und SS-Küche, Verwaltungsbaracke, Kantine, Magazin, Kleider- und Wäschekammer usw., von den Stubenältesten organisiert, sehr wichtig. Für diese Posten wurde jeweils ein SS-Mann als Bewacher zugeteilt. Ein Kontakt zwischen Häftling und SS-Mann ließ sich hier nicht verhindern. Anders draußen im Moor, wo die SS-Bewacher etwa 50 Meter von den arbeitenden Häftlingen entfernt standen.

 

So wurde ich z.B. in der Pumpstation untergebracht, eine gesonderte Baracke für Pump- und Filteranlagen, mit denen das eisenhaltige braune Moorwasser gereinigt wurde. Die ganze Arbeit bestand in der Überwachung und Säuberung der Apparatur. So hatte ich Zeit und diskutierte mit dem mir zugeteilten SS-Posten. Um auch andere SS-Männer beeinflussen zu können, habe ich Aschenbecher, Brieföffner und sonstige Kitschandenken aus Kupfer getrieben, die bei den SS-Leuten sehr beliebt waren.

 

Die auf solche Posten gestellten Genossen hatten Tag für Tag Gelegenheit, auf „ihren“ SS-Mann politisch einzuwirken. Natürlich mußte das mit der größten Vorsicht und Geschicklichkeit geschehen. Dies war für die meisten Genossen eine Schule für ihre illegale Arbeit nach der Entlassung. Im Lager wirkte sich diese systematische Zersetzungsarbeit allmählich aus. Als Folge wurde die SS-Mannschaft mit etwas Nachdruck durch die Polizei abgelöst. Die politische Arbeit würde anschließend leichter, weil die Polizeibeamten zum größten Teil frühere Sozialdemokraten waren. So dauerte es nur 6 Wochen, bis sie durch eine SA-Mannschaft abgelöst wurden.

Zu dieser Zeit war Wolfgang Langhoff bereits im KZ Lichtenburg. Auch ich kam Ende Januar 1934 auf Transport, zur Vernehmung durch die Gestapo. Und dann im Juni ging es wieder ins Moor, diesmal nach Esterwegen. Börgermoor war als Schutzhaftlager aufgelöst und die restlichen Insassen Esterwegen zugeteilt worden. In Esterwegen wehte ein schärferer Wind. Am Abend meiner Ankunft war ein Häftling „auf der Flucht“ erschossen worden. Der Terror wurde verschärft und der Widerstand schwieriger; schwieriger schon deshalb, weil die Zusammensetzung der Gefangenen eine andere war wie in Böregermoor.

 

Ich wurde in die gleiche Baracke eingeliefert, in der Dr. Theodor Neubauer, der bekannte KPD-Reichstagsabgeordnete, lag. Er war mir durch seine Tätigkeit als Chefradakteur der „Freiheit“ (Parteiorgan des Bezirks Niederrhein) bekannt. 1927 hatte ich meine erste marxistisch-leninistische Schulung durch ihn bekommen. Jetzt spielten wir manche Partie Schach miteinander; mit den Schachfiguren, die ich im Lager geschnitzt hatte. Trotzdem Theo von Beruf Studienrat war, betrachteten wir Arbeiter ihn als einen der unsrigen. Er war seit 1920 führender Kommunist, aber immer kameradschaftlich zu den einfachen Genossen. Er war ein mutiger Kämpfer, vor dem die SS-Wachmannschaft in Esterwegen großen Respekt hatte. Als einmal englische Quäker in Begleitung hoher SS-Offiziere das Lager besichtigten, wurde Theo Neubauer als eine in internationalen wissenschaftlichen Kreisen geachtete Persönlichkeit geholt, damit er sich positiv über das Lagerleben äußere. Aber als er unmißverständlich zu verstehen gab, was hier los war, wurde das Gespräch schnell unterbrochen. Nach seiner Entlassung 1939 organisierte er sofort den antifaschistjschen Widerstand, wurde 1944 erneut verhaftet und 1945 hingerichtet.

 

In Esterwegen lernte ich auch Carl v. Ossietzky kennen, den Herausgeber der „Weltbühne“ Er war bürgerlicher Pazifist und Antifaschist, mehr Gelehrter als Journalist, ein lebendes Lexikon. Wenn wir irgendeine Frage hatten, gab er uns sofort die entsprechende Antwort. Bei der Arbeit draußen im Moor zeigte sich, wie hilflos er körperlicher Arbeit gegenüber war, was auch zum Teil seiner angegriffenen Gesundheit zuzuschreiben war. Seine Ungeschicklichkeit reizte die SS-Leute, ihn zu verspotten, zu verhöhnen und zu schikanieren. Es machte ihn tiefunglücklich, aber er ertrug alles mit großer Würde. So weit es ging, haben wir Arbeiter versucht, ihm zu helfen, damit er sein Arbeitspensum schaffen konnte und vor weiteren Schikanen bewahrt blieb. Diese Schikanen wurden verstärkt, nachdem er 1935 den Friedensnobelpreis bekommen hatte. Er hat unsäglich viel gelitten und starb 1938 an den Folgen der KZ-Haft.

 

Im Februar 1935 wurde ich nach zweijähriger „Schutzhaft“ aus Esterwegen entlassen. Wenn ich an diese Zeit als „Moorsoldat“ zurückdenke, dann treten mir einige wichtige Erkenntnisse vor das Auge

 

In den meisten Fällen waren Arbeiter in der Haft und den Schikanen gegenüber härter und disziplinierter als Intellektuelle.

 

Wenn Intellektuelle es verstanden hatten, sich eng mit der Arbeiterklasse zu verbinden, leisteten sie eine hervorragende politische Arbeit und zeigten großen Mut.

 

Kommunisten meistern jede Situation, wenn sie organisiert und zielbewußt auftreten. Die Zersetzung der SS-Mannschaft in Börgermoor unter den schwierigsten Bedingungen ist ein Musterbeispiel dafür.

 

Die brutale Unterdrückung seitens des staatlichen Machtapparats (dazu gehörten auch die SS-Mannschaften) machte jedem, auch manchem Sozialdemokraten im Lager klar, daß sich die Arbeiterklasse nur befreien kann, wenn diesen Staatsapparat zerschlägt.

 

Darum ist heute jegliche Erzeugung von Illusionen, daß Macht des Monopolkapitals mit „friedlichen“ Mitteln „zurückgedrängt“ und durch eine „antimonopolisrische Demokratie“ ersetzt werden könnte, äußerst gefährlich und schädigend für den Kampf der Arbeiterklasse.

 

Aber auch das leichtfertige Verhalten einiger kleinbürgerlicher Intellektueller, die in die marxistisch-leninistische Bewegung eingedrungen sind, ist verhängnisvoll, weil sie den furchtbaren Terror des Faschismus dadurch bagatellisieren, daß sie die Tätigkeit der sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführer als „sozialfaschistisch“, als „faschistische Verwaltung“ bezeichnen usw. Sie haben aus den Fehlern der KPD in den 20er Jahren nichts gelernt.

 

Eine solche verhängnisvolle Linie kann nicht dadurch entschuldigt werden, daß diese sehr jungen und unerfahrenen Intellektuellen keine Ahnung von dem furchtbaren Terror und den täglichen, zermürbenden Schikanen haben. Wenn sie, die Vergangenheit mißachtend, diese Erfahrungen erst am eigenen Leib durchmachen müssen, ist es zu spät.

 

Das Buch „Die Moorsoldaten“ kann dazu beitragen, jungen Menschen die Augen über den faschistischen zu öffnen und sie am Beispiel der „Moorsoldaten“ von Notwendigkeit des antifaschistischen Kampfes zur Verhinderung der Errichtung einer neuen faschistischen Diktatur

überzeugen.

 

WEHRET DEN ANFÄNGEN!

 

Willi Dickhut, Frühjahr 1973

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