Historisches Neuland für eine Agroforstwirtschaft

von Gerd Zitzner, Diplom-Agraringenieur aus Essen

 

Der Roman „Wald in der Steppe“ ist hochaktuell. Er schildert, wie damals die Menschen Steppenlandschaften in Agrargebiete umgewandelt und diese durch angelegte Waldstreifen geschützt haben. Mit diesem Projekt sollte weiträumig Einfluss auf die klimatischen Bedingungen genommen, ein sich selbst tragendes Ökosystem aufgebaut, Ernteerträge für Millio­nen Menschen gesichert und für diese Naherholungsgebiete geschaffen werden.

 

Heute stoßen Agrar- und Forstwissenschaftler auf dieselben Fragen. Der erste Weltagrarbericht 2008 mit dem Titel „Landwirtschaft an einem Kreuzweg“ weist agrarökologischen Konzepten bei der Gestaltung nachhaltiger Landwirtschaft eine zentrale Rolle zu. Dazu gehören auch agroforstwirtschaftliche Systeme. Wenn weiter auf die kapitalistische Industrialisierung und Monopolisierung der Landwirtschaft gesetzt wird, schreitet der Raubbau an den landwirtschaftlich nutzbaren Böden unvermindert voran. Etwa ein Drittel der globalen Ackerflächen sind bereits geschädigt und davon heute 1,5 Milliarden Menschen betroffen.

 

Kritische Wissenschaftler fordern in den Tropen und Subtropen eine agrarforstwirtschaftliche Nutzung. Deren Kern ist die Integration von Bäumen in die Farmsysteme. Der von der Weltbank herausgegebene Weltentwicklungsbericht 2008 berichtet von einem Beispiel in Niger: „So wurden integrierte agrarforstwirtschaftliche Grünlandgebiete (Kulturpflanzen-Brennholz-Nutztier-Systeme) entwickelt, auf denen Gao-Bäume (Faidherbia albida), Baobabs und andere Bäume und Büsche wuchsen. Die Dorfbewohner berichten über eine verbesserte Bodenfruchtbarkeit und bessere Existenzgrundlagen trotz der schwachen gesamtwirtschaftlichen Situation des Landes. Dank des Futters aus den Blättern des Gao-Baumes ist die Zahl der Ziegen und Schafe gestiegen.“ (S. 229)

 

Untersuchungen, die Christian Dupraz, Forschungsdirektor am Französischen Institut für landwirtschaftliche Forschung (INRA), durchführte, beweisen, dass die Agroforstwirtschaft nicht nur in tropischen Regionen, sondern auch in den gemäßigten Klimazonen ihren Platz hätte. Breit angelegte Agroforstsysteme könnten der weltweit drohenden Klimakatastrophe entgegenwirken. Baumpflanzungen binden Kohlendioxid in Wurzelsystemen und Biomasse und tragen damit bei, die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre einzudämmen.

 

Die heute mediengerecht verbreitete Werbung für Wiederaufforstungsprogramme sind in der Regel als Greenwashing betriebene Aufforstungen. Dabei kann es sich zum Beispiel um „Kurzumtriebsplantagen“, anders gesagt Schnellwuchsplantagen, Energiewälder oder Eukalyptuswälder handeln. Letztere sind besonders schädlich. Sie entziehen dem Boden das ganze Wasser und rauben seine Fruchtbarkeit.

Im Gegensatz dazu war das Projekt in Russland zukunftsweisend bis in unsere Zeit, so wie es der Forstmeister im Roman, Pjotr Wassiljewitsch, erklärte: „Man darf Feld und Wald nicht voneinander trennen! Sie gehören zusammen; denn der Wald wird der Beschützer des Feldes sein!“

 

Im Roman handelt es sich bei den Schutzstreifen nicht um einfache „Heckenstreifen“ oder schnell wachsende Monokulturen, sondern um Waldstreifen, die ein ganzes Ökosystem mit vielfältigen Bäumen, Sträuchern und Kräutern darstellten.

 

Die umweltpolitische Pioniertat war das Ergebnis einer gewaltigen Initiative der Jugendlichen, Bauern und Arbeiter der MTS. Diese Pioniergefühle spiegelt auch der Roman an vielen Stellen wider, die die Sehnsucht der Menschen nach ökologischem Gleichgewicht, nach Einheit von Mensch und Natur ausdrücken:

Die Kronen haben sich zusammengeschlossen!“ flüsterte Nastja beglückt und musste dieses üppige grüne Dickicht immer wieder betrachten. Wie sehr hatte sie doch gehofft, diesen wunderbaren Augenblick eines Tages wirklich zu erleben! (…) Der Schutzwaldstreifen begann sein eigenes Leben. Das ‚Waldleben‘ hatte seine Herrschaft angetreten.“

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